pilgern_landschaftAuf dem Jakobsweg von Stuttgart nach Santiago de Compostela  

Je näher der Tag des „wohlverdienten" Ruhestandes heranrückte, desto mulmiger wurde mir. Ich fürchtete diesen Tag und überlegte, wie ich ihn umschiffen könnte. Nach reiflicher Überlegung entschloss ich mich, zwischen Karriere und Ruhestand einen GEDANKENSTRICH zu ziehen und den Jakobsweg von meinem Büro in Stuttgart aus nach Santiago de Compostela zu gehen. Am 27. Juli 2006 startete ich und benötigte bis Santiago 96 Tage.

 

Die Anfangsphase war schwierig. Die Wegweisung im Südwesten Deutschlands ist mangelhaft. Deshalb verlief ich mich fast jeden Tag. Auch das Wetter war belastend. Von den ersten 17 Etappen litt ich acht Tage lang unter großer Hitze (über 30°C), an sechs Tagen regnete es, davon vier Tage am Stück und nur drei Tage lang waren die wetterseitigen Bedingungen günstig. Nach der 16. Etappe war ich psychisch und physisch (Ich hatte Fersenschmerzen und humpelte am Ende jeder Etappe) ziemlich „fertig". Bei meiner Ankunft in Fribourg war ich nicht mehr gehfähig. Nach zwei Tagen Erholung mit meiner Frau in Fribourg, drei Tagen „seelischer Betreuung" durch eine Pilgerin und 14 Tagen Wanderung mit einem Pilger, der das Einmaleins der Pilgerei beherrschte - er war schon den spanischen Teil des Jakobsweges gelaufen - kam ich wiederhergestellt in Le Puy-en-Velay in Frankreich an.

 

Vier Mal träumte ich von meiner Firma und meinem Abnabelungsprozess. Nach etwa der Hälfte des Weges, in der Nacht vom 18. auf 19. September in Cajarc träumte ich den letzten entscheidenden Traum und dann war auch tagsüber mein „Fall in die Bedeutungslosigkeit" kein Thema mehr. Ich konnte souverän und gelassen damit umgehen. Mein GEDANKENSTRICH war bereits zu diesem Zeitpunkt ein Erfolg. Ich hätte nach Hause fahren können, wenn mich nicht schon der Bazillus der Pilgerei erfasst hätte. Seit Fribourg fingen die Menschen am Weg, die Mitpilger, die Wirtsleute der privaten Herbergen, die Geistlichen in den Kirchen und die Zisterzienserinnen in Vaylats in Frankreich an, mich zu beeindrucken, zu beschäftigen und zu beeinflussen. Die Gastfreundschaft der Menschen in Frankreich war kaum zu überbieten. Ich begann, mich mit dem Thema der christlichen Nächstenliebe auseinanderzusetzen und mich zu fragen, wo ich eigentlich im Leben stehe, wie ich mich zu meinen Mitmenschen verhalte. Einige Erlebnisse in Frankreich und Spanien waren für mich so prägende Ereignisse, dass mir immer mehr bewußt wurde, dass der eigentliche Weg erst nach meiner Ankunft in Santiago beginnen würde, wenn die Versuchungen alter Gewohnheiten im Alltag auftreten. Soweit zum inneren Weg.

 

Der äußere Weg war ebenso beeindruckend: Europa zu Fuß durchlaufen zu können, die Menschen, die kulturellen und architektonischen Hinterlassenschaften unserer Vorfahren und das Leben heute in den Nachbarländern aus Pilgersicht betrachten zu können, ist eine Wanderung wert. Das Eintauchen in die Natur schärfte meine Sinne; ich erlebte meine Umwelt mit allen meinen Sinnen viel intensiver als bisher. Das Wetter war allerdings auch in Spanien nicht sonderlich gut: Neun Tage regnete es am Stück. In Santiago de Compostela herrschte am 30. Oktober eine Hitze von 30°C. Aber gesund und konditionsstark eilte ich in 30 bis 40 Kilometer langen Etappen gegen Ende meiner Pilgerreise - erfüllt und bereit für einen neuen Lebensabschnitt - meinem Ziel entgegen.

 

In der Folgezeit zuhause begann der innere Weg „danach" mit guten Vorsätzen aber auch mit vielen Rückschlägen. Während der Übergang vom Job in den Ruhestand problemlos und dauerhaft geglückt ist, muss ich auch ein Jahr nach der Pilgerreise weiter an der Umsetzung der guten Vorsätze arbeiten. Aber mit Abschluss meiner Dokumentation weiß ich, dass ich den inneren Weg weitergehen werde. 

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